Der Ausstieg aus der Unterwelt- Eine sage der Hopi
Die ersten Menschen lebten in der Unterwelt und waren dort glücklich. Aber dann kam mit der Gier nach Macht und Besitz Streit auf, und mit dem Streit Mord und Totschlag. Sie verpesteten die Untere Welt damit so sehr, daß sie nicht mehr darin leben mochten. Da versammelten sich die Häuptlinge und sprachen zueinander: Laßt uns erkunden, ob es nicht außer dieser Welt noch eine andere gibt. Eine, in der der Tod nicht wohnt; sie könnte unter uns sein oder über uns, im Norden oder Süden, im Osten oder Westen. Und sie zogen lange umher in alle Himmelsrichtungen, fanden aber keinen Ausgang aus dieser Unterwelt.
Endlich sprachen sie untereinander: Nein, wir allein sind nicht klug genug, um den Ausweg aus dieser Welt zu entdecken. Sie machten Zauberutensilien und sangen Zauberlieder und lockten mit ihnen einen Adler herbei. Sie baten ihn, aufzusteigen und oben im Himmel zu suchen, ob es einen Ausstieg gebe aus dieser Welt, in der Tod und Zauberei waren.
Der Adler war ein kräftiger Vogel mit starken Schwingen, aber es dauerte einen ganzen Tag, ehe er wieder zurückkam. Er sagte, er sei sehr hoch hinaufgeflogen, bis dorthin, wo es keine Lebewesen mehr gebe. Er sei der Erschöpfung nahe gewesen und beinahe ohnmächtig geworden, und nirgends habe er ein Plätzchen gefunden, um sich auszuruhen. Endlich habe er nach oben geschaut. Da sei ihm in der Decke des Himmels ein Spalt aufgefallen; durch den könne man vielleicht in eine andere Welt gelangen. Aber er habe umkehren müssen, denn sonst wäre er umgekommen, und keiner hätte die Nachricht zu ihnen bringen können, daß dort tatsächlich ein Ausstieg sei.
Nun, damit war nichts entschieden. Aber sie faßten doch wieder Hoffnung, daß sie in eine bessere Welt entkommen könnten, in der es noch keinen Tod gibt. Sie dachten lange darüber nach, wie es denn möglich wäre, den Spalt im Himmel zu erreichen und durch diesen in die Obere Welt aufzusteigen. Sie versuchten, lange Leitern zu bauen, aber keine Leiter war lang genug, um daran so hoch zu klettern, wie der Adler gelangt war.
Sie überlegten dies und das. Die weisesten unter ihnen gaben diesen Rat und jenen, aber damit kamen sie dem Spalt in der Decke nicht näher. Da meldete sich einer, der bei der Beratung der Häuptlinge eigentlich gar nicht hätte dabeisein dürfen, ein armer Junge in zerfetzten Kleidern.
Den Blicken, die sie ihm zuwarfen, war anzumerken, daß sie ihn verachteten. Er aber sagte: Vielleicht ist mein Rat nicht mehr wert als die Lumpen, die ich auf dem Leib trage. Also schimpft nicht gleich und lacht mich nicht aus, wenn am Ende das, was ich euch vorschlage, dann doch nicht zu dem gewünschten Ziel führt. Glaubt mir, ich will euch helfen. Was also schlägst du vor? fragten sie ihn.
Es gibt ein Geschöpf, sagte der Junge, das ist ähnlich unbedeutend und verachtet wie ich. Es lebt in den Pinienwäldern und nährt sich von Nüssen. Deswegen kennt es sich auch mit diesen Bäumen gut aus. Es ist das Erdhörnchen. Wie wäre es, wenn ihr das Erdhörnchen riefet und es bitten würdet, einen dieser ganz hohen Bäume zu pflanzen, deren Wipfel über den Wolken stehen. Wir könnten dann vielleicht an den Ästen dieses Baumes hinaufklettern und würden so in die oberirdische Welt gelangen. Die meisten unter den Häuptlingen glaubten zwar nicht, daß der Rat eines so armen Jungen und die Hilfe eines so kleinen Tieres viel wert seien. Aber nach dem, was schon alles versucht worden war, kam es nun nicht mehr darauf an, noch einen weiteren Versuch zu unternehmen. Das Erdhörnchen wurde herbeigerufen. Es pflanzte eine Pinie. Es sprach Zauber über diesen Baum, der wuchs auch mächtig hoch, aber sein Wipfel reichte nicht bis an den Spalt im Himmelsgewölbe heran.
Das Erdhörnchen kletterte den Baum herauf und versuchte ihn noch etwas in die Länge zu ziehen. Das gelang ihm zwar. Aber der Baum war immer noch zu kurz. Nun gehörte das Erdhörnchen zu den Wesen, die nicht so schnell aufgeben. Es unternahm noch einen Versuch, diesmal mit einer Fichte. Es legte die Fichtensaat in die Erde, sprach einen Zauber darüber, und ein Fichtenbaum wuchs auf, stärker und schöner als jeder Fichtenbaum, den man je gesehen hatte. Der Fichtenbaum war zwar höher als die Pinie, aber er war noch nicht hoch genug. Immer noch fehlte ein ganzes Stück bis zum Spalt im Himmelsgewölbe. Wieder lief das Erdhörnchen an dem Baumstamm nach oben und streckte den Baum, aber o weh, es reichte immer noch nicht bis zu dem Spalt.
Die Häuptlinge waren verzweifelt. Einige murrten, andere fluchten, und ein paar waren sich immerhin darin einig, daß von einem so unwissenden Jungen und einem so unbedeutenden Tier nichts Gutes kommen könne. Aber der Junge in den zerlumpten Kleidern sagte: Warum gebt ihr so rasch auf! Es ist doch ein großes Ziel, in eine Welt zu gelangen, in der es das Böse noch nicht gibt. Seht einmal, das Erdhörnchen beschämt euch. Es ist schon wieder fortgelaufen, um eine andere Pflanzensaat zu suchen. Diesmal kam das kleine Tier mit einem Bambussprößling zurück, und es hatte außerdem eine kleine Nußschale voller Wasser bei sich. Es goß das Wasser aus, so daß der Boden etwas feucht wurde an dieser Stelle, und dann steckte es den Bambussprößling hinein, einen Arm tief. Es bedeckte ihn wieder mit Erde, streute heiliges Mehl darüber und sprach darauf zu den Menschen: Seid gewiß, diesmal wird es glücken!
Und tatsächlich: Das Gras wuchs und wuchs, aber kurz unter dem Spalt im Himmelsgewölbe hörte dann auch der Bambus auf zu wachsen. Viermal kletterte das Erdhörnchen zur Spitze hinauf, um ihn zu strecken, und beim fünften Mal streckte es ihn so weit, daß der Bambus durch den Spalt bis in die Obere Welt reichte. Nun betraten die ersten Menschen das Innere des Bambusstammes. Das Erdhörnchen lief ihnen voran und nagte ihnen einen Treppe, über die die ersten Menschen schließlich in die Obere Welt gelangten. Zuvor hatten sie alle Himmelsrichtungen mit Maismehl und Blütenstaub von Hibiskus bestreut, damit ihnen Leute, die böse Zauberer waren, nicht folgen konnten.
Dies ist eine Sage die mich sehr berührt. Ich finde diese Vorstellung sehr schön. Was meinen meine Schwestern dazu?